Mittwoch, 30. November 2011

In der TV-Hölle mit »Jim Bim«

»Wer sich Markus Lanz anschaut, der ist doch selber schuld«, könnte man sagen. Und hätte Recht damit! Aber es gibt sie nun mal, Abende, an denen man eher zufällig in die Talkshow-Falle schlittert. Nichtsahnend wird durch das Abendprogramm gezappt, bis man in einem der immer gleichen Ledersessel plötzlich eine vertraute Fratze entdeckt. Und dranbleibt. Verursacher neulich: »Charakterkopf« Jimmy Hartwig.

»Koks, Schlaftabletten und Wodka«

Bei Talk-»Master« Markus Lanz diskutierte Hartwig (»Ich war ein Gossenkind«) mit Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, Starköchin Sarah Wiener und dem ewigen Schlagerpaten Ralf Siegel (samt Frau und Hund!) – eine explosive Mischung. Und der Ex-HSVler legte mächtig los: »Ich hab meinen Vater nie gekannt, meine Mutter hat gearbeitete wie ein Pferd und ich musst immer die Ellenbogen rausnehmen.« Die Gründe dafür, warum Hartwig nicht einfach Hartwig, sondern »der immer lustige Jimmy« ist, hat er klar identifiziert. Gegenüber seiner Altersgenossen war es Selbstschutz, gegenüber seiner Mutter die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung.

Was sich nach Hartwigs Karriere als Fußballer ereignete, ist allerdings noch wesentlich unschöner als seine Kindheit. Gleich zwei Mal versucht er sich das Leben zu nehmen, beide Male scheitert er. Er sei verzweifelt gewesen, hatte kein Geld mehr, seine sogenannten Freunde hätten ihn im Stich gelassen. Wie konnte es soweit kommen? »Es wird immer gesagt, der Hartwig hat sein Geld verhurt, versoffen und verkokst – das ist eine Unverschämtheit«, wird der Zuschauer aufgeklärt. In Wahrheit fing alles mit schlechter Anlageberatung an. An den Folgen ändert das jedoch nichts. »Beim ersten Mal habe ich mir einen kleinen Mix gesetzt – aus Koks, Schlaftabletten und Wodka.«

Emotionsbündel vs. »Gute-Laune-Jimmy«

Später erkrankt Hartwig an Prostata- und Hodenkrebs. Als er von seinem »Weg zurück ins Leben« erzählt, übermannen ihn die Tränen. Lanz umschifft die Situation, indem er sich kurzzeitig Ralf Siegel widmete, die empathische Damenfraktion um Aigner und Wiener spendet dem Fußballer derweil Trost. Das Publikum fühlt mit, der Moment ist der emotionale Höhepunkt der Sendung. Doch kurz darauf ist er wieder da – der »Gute-Laune-Jimmy«, von dem Hartwig selbst sagt, er drehe in der Öffentlichkeit irgendwie immer am Rad. Er weiß es und er spricht es sogar aus, trotzdem kann er nicht aus seiner Haut.

Jimmy schaltet auf Entertainer-Modus, wendet sich nun häufig zum Studiopublikum und setzt verstärkt auf Mimik und Gestik. »In Deutschland wurde ich als Neger beschimpft, im Ausland als Scheißdeutscher – da müssen die Leute sich doch mal entscheiden«, schenkelklopfert er los. »Ich hatte früher ja den Spitznamen Jim Bim (Beam). « Brüller. Oder eine typische Discoerfahrung aus früheren Tagen: »Hallo Mädels, der Jimmy ist da! Na Kleine, wie heißt du? Uschi? Alles klar, trinken wir einen!« So oder so ähnlich lief das wohl damals. »Die waren natürlich heiß auf mich«, gibt der Charmeur bescheiden zu. Und während sich Sarah Wiener nur noch angewidert abwendet, spielt die sichtlich angeturnte Ilse Aigner inzwischen sinnlich mit ihren Fingern. Schön anzusehen ist das alles nicht.

»Habe als Kind schon genug geredet«

»Ich habe nur noch ein Ei, aber das ist sooo dick«, schließt der »Unterhaltungs-Jimmy« das Kapitel Hodenkrebs. Es folgen noch die Themen »Dschungelcamp« und Rassismus, dann widmet sich Lanz seinem nächsten Gast. Mit einem Taschentuch tupft sich Jimmy den Schweiß von der Stirn. »Ich habe als Kind schon genug geredet«, hatte er eingangs noch reflektiert. Und eigentlich erweckt Hartwig auch den Eindruck, als hätte er selbst schon lange keinen Lust mehr auf sein Alter Ego. Ganz ablegen wird er den »Gute-Laune-Jimmy« aber wohl nie. Die Rolle ist seine Clowns-Maske, und erfüllt immer noch dieselbe Funktion wie zu Kindertagen. Nur ist er inzwischen eigentlich längst rausgewachsen.

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